Sonnebergs neuer Landrat Robert Sesselmann (2.v.l.) mit Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke und Bundesparteichef Tino Chrupalla (r.) (Foto:Imago)

Sonneberg – Entsetzen und viel Schokolade

Die Aufrufe der etablierten Parteien an die Sonnenberger Wahlurne haben gefruchtet: Die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl für das Landratsamt stieg um satte 10 Prozent von 49,1 auf 59,6. Doch das Ergebnis passt so gar nicht: Die Thüringer wählten erstmals einen AfD-Kandidaten ins Amt. Nun überschlagen sich Politik und Regierungspresse und zeigen sich “tief erschüttert”. Hier die ersten entsetzten Redaktionen. Und es gibt noch eine freudige Nachricht für alle AfD-Wähler und Naschkatzen:

Der Aufruf zur Wahlbeteiligung ging für den Nougat-Hersteller Viba nämlich gründlich in die Hose: Er versprach für „jeden Prozentpunkt über 49% Wahlbeteiligung am Montag einen Prozent Rabatt auf die Viba Classic Nougatstange in der Sonneberger Viba-Filiale“. Guten Appetit.

WELT

Für viele Wähler klang „rechtsextrem“ offenbar wie eine Auszeichnung

“Unter jenen, die ihr Kreuz beim AfD-Mann gemacht haben, ließ sich wohl zumindest ein Teil durch plumpen Populismus manipulieren und zur Wahl aus den falschen Motiven verführen. Dafür sollte sich ein mündiger Bürger, eine aufgeklärte Bürgerin zu schade sein.

Sonneberg hat das Problem lehrbuchhaft gezeigt. Ein Landrat hat zwar ein paar Machtbefugnisse, zum Beispiel was den Haushalt in seinem Kreis angeht, er hat aber keinerlei Mitspracherechte oder auch nur ansatzweise Einfluss auf Themen wie Steuern, Grenzkontrollen oder Spritpreise. Doch ausschließlich damit hatte der AfD-Kandidat in Sonneberg Wahlkampf betrieben: „Mehrwertsteuer senken“, „Grenzen sichern“ oder „Diesel ist super“ stand auf seinen Plakaten. Seine Vorhaben in Sachen Kommunalpolitik? Fehlanzeige. Wer AfD wählte, hat sich also für eine Blackbox entschieden. Und einen Mann in ein auf sechs Jahre angelegtes Amt gehievt, der eine ausländerfeindliche und nationalistische Partei vertritt…Wenig hilfreich ist dagegen der demonstrative „Schulterschluss der Demokraten“. Wenn wie in Sonneberg sämtliche Parteien, von SPD über FDP und Grüne bis zur Linken, eine Wahlempfehlung für die CDU abgeben, dann kann die AfD noch genussvoller ihre Rolle als Außenseiter und Opfer der „Systemparteien“ pflegen. Das führt dazu, dass am Ende sogar die Einstufung als „rechtsextrem“ – zumindest in Teilen der Wählerschaft – als Auszeichnung verstanden wird, weil sie eine maximale Distanz zum verachteten politischen Establishment zum Ausdruck bringt.” Von Hannelore Crolly

Der Zentralrat der Juden

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat die Wahl des AfD-Politikers Robert Sesselmann im thüringischen Sonneberg zum ersten AfD-Landrat in Deutschland mit Erschütterung zur Kenntnis genommen. “Die – nach dem vorläufigen Ergebnis in Sonneberg – erste Wahl eines AfD-Kandidaten in ein exekutives Amt erschüttert mich”, sagte er dem “Redaktionsnetzwerk Deutschland” (Montagausgaben). “Um es klar zu sagen: Nicht jeder AfD-Wähler hat eine rechtsextreme Gesinnung. Aber die Partei, deren Kandidaten sie gewählt haben, ist laut Landesverfassungsschutz rechtsextrem.” Schuster fügte hinzu: “Dass so viele Menschen dem zustimmen, beunruhigt mich zutiefst. Sie sollten sich ernsthaft die Frage stellen, ob die Probleme, die sie haben, die Wahl eines Kandidaten einer solchen Partei rechtfertigen. Das ist ein Dammbruch, den die demokratischen politischen Kräfte in diesem Land nicht einfach hinnehmen dürfen.”

Die aus Thüringen stammende Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt sagte dem RND:

“Dass sich heute eine Mehrheit der Sonneberger für den Kandidaten der rechtsextremen AfD entschieden haben, bestürzt mich sehr. Die AfD hat ein erklärtes Ziel, sie möchte unserer Demokratie Schaden zufügen. Sie hetzt, sie verunsichert, sie stachelt auf.” Göring-Eckardt fuhr fort: “Diese Wahl darf nicht einfach als Protestwahl abgestempelt werden. Ich bin überzeugt, dass die Menschen die AfD nicht trotz ihrer Positionen wählen, sondern genau wegen dieser Haltungen. Es ist die Verantwortung aller demokratischen Parteien nicht weiter zur Normalisierung beizutragen. Wer rhetorisch rechts blinkt, darf sich nicht wundern, wenn die Menschen bei Wahlen auch tatsächlich rechts abbiegen.” Sie dankte zugleich den “vielen Menschen, die sich tagtäglich, sei es im Alltag, im Ehrenamt oder in ihrem Job, für Demokratie und Vielfalt stark machen. Wer jetzt pauschalisierend über Ostdeutschland spricht, macht genau dieses Engagement unsichtbar.”

Die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang

ist “bestürzt” über das und spricht von einer “Warnung an alle demokratischen Kräfte.

Nikolaus Blome, Online-Kolumnist beim Spiegel sieht sich wieder von Nazis umgeben und twittert 

Die allermeisten #AfD-Wähler von #Sonneberg sind bestimmt keine Neonazis. Aber sie wählen welche. Das ist, was heute zählt.

Für Alarmsirene Karl Lauterbach

ist “ein Tiefpunkt unserer Politik seit dem Fall der Mauer” erreicht. Die Bevölkerung müsse “mehr mitgenommen werden auf dem Weg zu Klimaschutz und mehr Gerechtigkeit. Die AfD schürt Angst und Hass habe aber Lösungen für “Nichts”, teilt er seiner kleinen Fan-Blase auf Twitter mit.

Bodo Ramelow

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) damit, dass es künftig noch häufiger auf kommunaler Ebene zur Wahl von AfD-Kandidaten kommt: “Das Tabu ist jetzt gebrochen”, sagte er am Sonntag. Zugleich wies er den Vorwurf zurück, in Sonneberg seien die Wähler überwiegend rechtsextrem eingestellt: “Die Leute haben der Politik einen Denkzettel verpasst”, sagte Ramelow dem Nachrichtenportal T-Online. Überrascht habe ihn dies nicht: “Seit Jahren werden ostdeutsche Lebenserfahrungen ignoriert und Ostdeutsche nicht eingebunden. Geschaut wird auf den Osten nur, wenn dort etwas Negatives passiert, die Erfolge aber übersehen. Das führt zu einer Trotzreaktion bei den Menschen.” Ramelow forderte als Konsequenz ein Umdenken im Westen: “Die Bundesrepublik muss mehr auf den Osten schauen, auf das, was dort geleistet wird.”

Auch müssten Ostdeutsche stärker in politische Entscheidungen und in Führungspositionen eingebunden werden. Als Beispiel nannte er die geplante Krankenhausreform: “Da hat der Osten eine hohe Kompetenz mit Modellen wie der Schwester Agnes oder den Polykliniken und diese wird einfach ignoriert statt diese Ostkompetenz aktiv und positiv einzubeziehen.”

Und hier noch mal die freudige Nachricht:

Der Landkreis Sonneberg wird der erste in Deutschland mit einem AfD-Landrat. Der thüringische Landtagsabgeordnete Robert Sesselmann holte bei der Stichwahl am Sonntag beim Auszählungsstand von 67 der insgesamt 69 Stimmbezirke rund 53 Prozent und war damit praktisch uneinholbar vor seinem Gegenkandidaten von der CDU, Jürgen Köpper, der auf 47 Prozent kam. Im ersten Wahlgang hatte Sesselmann bereits 47 Prozent erhalten, Köpper kam auf 36 Prozent, die SPD-Kandidatin auf 13 Prozent, die gemeinsame Kandidatin von Grünen und Linken auf gut 4 Prozent.

CDU-Mann Köpper hatte den erkrankten vorherigen Landrat bereits seit 2021 vertreten und war schließlich kommissarisch im Amt – offenbar nicht zur Freude der meisten Wähler. AfD-Kandidaten in Stichwahlen hatte es zuletzt öfter gegeben, deren Triumph wurde aber stets durch ein breites Bündnis der anderen Parteien verhindert. In Ostdeutschland ist die AfD laut Umfragen klar stärkste Kraft.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD)…

blickt besorgt auf das Ergebnis der Landratswahl im thüringischen Sonneberg. “Gerade die thüringische AfD gilt als rechtsextrem – dass das überhaupt keine Resonanz im Wahlergebnis hat, darauf kann ich mir keinen Reim machen”, sagte er am Montag den Sendern RTL und ntv. In Niedersachsen könne er sich ein solches Ergebnis nicht vorstellen, so der Landeschef.

Das Wahlergebnis in Sonneberg zeige, dass die Stimmungen und die Verhältnisse zwischen Ost- und Westdeutschland sehr unterschiedlich seien. “Gerade in den wesentlichen Fragen der aktuellen Politik, herrschen unterschiedliche Stimmungen zwischen Ost und West”, so Weil. Dies sei ein Problem, an dem man arbeiten müsse.

Der SPD-Politiker ist sich sicher, dass ein Großteil der AfD-Wähler inhaltlich nicht überzeugt von der Partei sei, sondern eher enttäuscht von den anderen Parteien. “Daraus schließe ich, dass die anderen besser werden müssen”, sagte Weil. Man dürfe vor allem interne Gespräche nicht öffentlich austragen.

Stattdessen müsse man intern konzentriert arbeiten und anschließend überzeugende Lösungen präsentieren. Darüber hinaus müsste man sich auch dem bekannten Problem widmen, wie sich “berechtigte Sorgen von völlig übertriebenen Schreckensszenarien unterscheiden lassen”. Das sei ein Thema, an dem man sich seit Jahren die Zähne ausbeiße, so der Ministerpräsident.

Auf die Frage, wie man künftig mit der AfD umgeht oder gar zusammenarbeitet, sagte Weil: “Es gibt zwischen den demokratischen Parteien die klare Vereinbarung, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD gibt. Das wird in Niedersachsen sehr konsequent praktiziert, und das auch ausdrücklich von der CDU. Ich wünsche mir, dass das in allen Teilen Deutschlands so ist.”

 

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